Das ›Gemeinschaftsgefühl‹ bei Wolfgang Schmidbauer
Zum Ende dieser Abhandlung möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass Adlers Gemeinschaftsgefühl auch außerhalb der individualpsychologischen Reihen Bedeutung und Anerkennung erfährt. Schmidbauer beschreibt beispielsweise: „In jeder Form der Gruppenselbsterfahrung als Teil einer persönlichkeitsbezogenen Weiterbildung in allen Berufen, in denen die Person, z.B. des Erziehers, Therapeuten, Lehrers zum wichtigsten Instrument wird, spielen heute Gedanken eine Rolle, welche die integrative Kraft von Adlers Vorstellungen zum Gemeinschaftsgefühl bestätigen. Das Erlebnis, daß Menschen, die sich bisher fremd waren, in wenigen Tagen nahekommen, sich verständigen, unterstützen, ungünstige Erlebnisse der Vergangenheit korrigieren können, gehört zu den Fundamenten jeder nützlichen Gruppen-Selbsterfahrung.“ (Wolfgang Schmidbauer, 1979; 61).
Wolfgang Schmidbauer weist in diesem Zusammenhang auf die wachsende Annäherung der unterschiedlichen psychologischen Schulen hin. Wer als Therapeut, Berater und Gruppenleiter die „Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Förderung emotionalen Wachstums“ als seine zentrale Aufgabe betrachtet, stützt sich bei dieser Arbeit auf Grundannahmen, die in vielen Schulen heute Konsens sind: Unbewusste und unreflektierte Persönlichkeitsanteile sollen im Erleben mit anderen Menschen und unter Anleitung des Gruppenleiters erfahrbar gemacht und bewältigt werden. „Die wichtigste Hilfe ist dabei das neuentdeckte Gemeinschaftsgefühl“ (ebd.; 62).
Das neuentdeckte oder weiterentwickelte Gemeinschaftsgefühl zählt auch Schmidbauer so zum entscheidenden Kriterium psychischer Veränderungen und belegt es vor allem mit einem beobachteten Phänomen in Gruppenprozessen. Eine anfängliche passive Erwartungshaltung und Widerstandsphänomene unterschiedlichster Ausprägung gegenüber der persönlichen Veränderung weichen mit wachsendem Gemeinschaftsgefühl einer Hinwendung und einem ehrlichen Interesse an den anderen Gruppenmitgliedern:
„Der Mitmensch wird zum Ziel der ursprünglichen, verschütteten Neugieraktivität, und gleichzeitig machen sich auch im Leben des einzelnen Gruppenmitgliedes größere Freiheit, größere Aktivität bemerkbar“ (ebd.; 62).
- Weiter mit —> Beratungsprozess
- Zurück zu —-> Robert Antoch